China hat im E-Commerce echte Meilensteine gesetzt. Einer davon ist zweifelsohne Instant Retail. Denn was früher im Onlinehandel als revolutionär galt – Same-Day-Delivery oder Click & Collect – ist heute fast antiquiert. Stattdessen sprechen wir von einem System, das Lieferungen in wenigen Minuten ermöglicht, gestützt auf innovative Technologien, Gig-Economy und ausgeklügelte Logistik. Aber was macht diesen Trend so erfolgreich? Welche Herausforderungen bringt er mit sich? Und wie könnte Instant Retail den globalen Handel verändern?
Der Grundgedanke ist ebenso simpel wie wirkungsvoll: Lieferung in Echtzeit. KonsumentInnen bestellen über eine App, die Produkte werden aus einem nahegelegenen Lager abgeholt und in Windeseile geliefert. Die Zeiten, in denen man Tage oder Stunden auf seine Bestellung warten musste, sind in China vorbei – besonders in urbanen Zentren.
Ohne Technologie und den rasanten Fortschritt wäre der Instant Retail in China undenkbar. Zu den Schlüsselkomponenten für diese Form des Handels zählen:
Der Erfolg von Instant Retail in China ist kein Zufall. Hier spielen gleich mehrere Faktoren zusammen:
Alibaba und Hema (Freshippo)
Der Marktplatz- und Plattform- Gigant Alibaba hat mit seiner Supermarktkette Hema (im Englischen Freshippo) das Einkaufen beinahe neu erfunden. Der Hybridansatz ist simpel, aber genial: Die stationären Läden sind nicht nur Supermärkte, sondern gleichzeitig Logistikzentren für Online-Bestellungen. Die Frische? Garantiert. Die Lieferung? Blitzschnell, oft unter 30 Minuten – das ist fast schneller, als man „Wo habe ich die Einkaufszettel-App?“ sagen kann. Hema hat inzwischen über 300 Filialen in mehr als 20 chinesischen Städten, und wenn Alibaba so weitermacht, wird vielleicht bald jeder Supermarkt ein bisschen smarter sein müssen – oder das Handtuch werfen.
JD.com
JD.com hat offenbar das Motto: „Warum um den Berg herumfahren, wenn man darüberfliegen kann?“ und machte schnell Ernst. Der Gigant begann ab 2016 mit der Entwicklung von Drohnen, um Produkte auch in abgelegene Regionen zu liefern – Berge, Flüsse, wilde Natur? Kein Problem, die Drohne fliegt einfach darüber hinweg. Das Ergebnis: Produkte landen dort, wo Straßen teils noch ein Luxus sind und das oft innerhalb weniger Stunden. Gerade im Zuge der Corona-Pandemie hatte die Plattform mit Sitz in Peking damit Mitbewerbern einiges voraus. JD.com betreibt inzwischen eines der weltweit größten Drohnen-Netzwerke.
Meituan
Meituan startete als klassischer Essenslieferdienst – und hat sich heimlich, still und leise zur Allzweckplattform gemausert, die inzwischen fast alles liefert, was das urbane Herz begehrt: Lebensmittel, Elektronik, Drogerieartikel. Die Lieferzeiten liegen im besten Fall bei 15 Minuten. Mit einem Heer von über 4 Millionen KurierInnen – das sind mehr KurierInnen als Berlin EinwohnerInnen hat – und einem ausgeklügelten Algorithmus, der Routen optimiert, schafft Meituan jeden Tag das, wovon andere nur träumen: über 70 Millionen Bestellungen. Und wie Mitbewerber JD.com hat auch Meituan angefangen auf fliegende KurierInnen zu setzen und bedient bspw. die Metropole Shenzhen mit 30 Routen - und hungrige TouristInnen auf der chinesischen Mauer.
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Hier hat Sven seine Gedanken, Erfahrungen und Learnings aus dem einwöchigen Trip durch Peking, Hangzhou und Shanghai gesammelt und in Tagebucheinträgen mit Euch geteilt. Schaut doch mal rein:
Die Konsumgewohnheiten zeigen, welche Kategorien im Instant Retail besonders gefragt sind:
So beeindruckend die Geschwindigkeit auch ist, die ökologischen Auswirkungen sind enorm und alles andere als zeitgemäß. Verpackungsmüll und der CO₂-Ausstoß durch häufige Lieferungen sind für die Umweltbilanz naturgemäß eher ungünstig. Gerade die letzte Meile, also der Weg zu KundInnen, hinterlässt in der Lieferkette oft den höchsten CO₂-Fußabdruck. Alibaba, Meituan und andere Unternehmen haben erste Schritte unternommen, um gegen diese Auswirkungen anzukommen. Dazu gehören der Einsatz von Elektrofahrzeugen, wiederverwendbare Verpackungen und Initiativen zur Müllreduktion. Alibaba testet beispielsweise biologisch abbaubare Verpackungen in seinen Hema-Märkten, während JD.com mit solarbetriebenen Logistikzentren experimentiert.
Die FahrerInnen, die das Rückgrat von Instant Retail bilden, arbeiten oft unter enormem Druck. Lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne und eine hohe Unfallrate sind an der Tagesordnung. Plattformen stehen zunehmend in der Kritik, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Den Quick Commerce Versuch Gorillas hat u.a. der Umgang mit seinen MitarbeiterInnen Kopf und Kragen gekostet.
Das Geschäftsmodell von Instant Retail ist trotz seines Wachstums mit hohen Kosten verbunden. Viele Unternehmen subventionieren Lieferungen, um KundInnen zu binden, was die Margen belastet. Untersuchungen zeigen, dass etwa Meituan und JD.com in den letzten Jahren massiv in Logistik und Technologie investiert haben, um Lieferzeiten zu reduzieren. Hema, die Supermarktkette von Alibaba, erreichte erst 2022 nach sieben Jahren die Rentabilität. Die langfristige Profitabilität bleibt ungewiss. Während große Plattformen mit umfangreichen Ressourcen die Verluste noch ausgleichen können, haben Anbieter wie Gorillas und Getir gezeigt, wie schwierig es ist, in diesem Markt zu überleben.
Das Konzept des Instant Retail in China wird natürlich längst weltweit beobachtet und getestet, aber die Rahmenbedingungen und die Nachfrage unterscheiden sich in westlichen Märkten wie Mitteleuropa und Nordamerika ganz deutlich.
Unternehmen wie Amazon (Prime Now) und GoPuff setzen in den USA bereits auf ultrakurze Lieferzeiten. Doch die geringere urbane Dichte und die hohen Kosten erschweren eine flächendeckende Umsetzung. Das Modell funktioniert vor allem in dicht besiedelten Großstädten wie New York und Los Angeles.
In Europa hatten Anbieter wie Gorillas und Getir Schwierigkeiten große, sich zu etablieren, unter anderem wegen hoher Löhne und strenger Arbeitsgesetze. Das Ergebnis: ein Player ging unter, der andere verließ den deutschen Markt. Trotzdem optimieren Unternehmen das Modell mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit, etwa durch Fahrradzustellungen oder Elektrofahrzeuge, um sich langfristig am Markt zu halten.
Während urbane Dichte und Konsumkultur ideale Bedingungen für den Instant Retail in China bieten, erfordert die Umsetzung in westlichen Märkten mehr Flexibilität. Nachhaltige Innovationen und die Anpassung an kulturelle Unterschiede könnten jedoch dazu beitragen, Instant Retail global skalierbar zu machen.
Dennoch könnte Instant Retail langfristig ein wichtiger Bestandteil des globalen Handels werden – allerdings stark an die einzelnen Ländermärkte angepasst. One size fits all gibt es hier nicht. Technologischer Fortschritt, Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Effizienz sind entscheidend, um das Modell außerhalb Chinas langfristig erfolgreich zu machen.
Instant Retail in China ist mehr als nur ein Trend – es ist ein Paradigmenwechsel, eine neue Ära des Handels. Der chinesische Handel hat die dafür Blaupause entwickelt, wie Technologie, Logistik und KonsumentInnenverhalten in Einklang gebracht werden können, um ein radikal neues Einkaufserlebnis zu schaffen.
Doch mit großer Innovation kommen auch große Herausforderungen. Die Themen Nachhaltigkeit, Arbeitsbedingungen und wirtschaftliche Rentabilität müssen angegangen werden, wenn das Modell langfristig Bestand haben soll. Und für Unternehmen weltweit gilt: Wer nicht bereit ist, in Geschwindigkeit, Komfort und Technologie zu investieren, riskiert zurückzufallen. Für KonsumentInnen bedeutet Instant Retail eine beispiellose Bequemlichkeit. Für Unternehmen ist es eine Erinnerung daran, dass Geschwindigkeit und Technologie in der Welt von morgen entscheidend sein werden.