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Instant Retail in China: Schneller geht immer

Katrin Grieser
Katrin Grieser
11. Dez. 2024

China hat im E-Commerce echte Meilensteine gesetzt. Einer davon ist zweifelsohne Instant Retail. Denn was früher im Onlinehandel als revolutionär galt – Same-Day-Delivery oder Click & Collect – ist heute fast antiquiert. Stattdessen sprechen wir von einem System, das Lieferungen in wenigen Minuten ermöglicht, gestützt auf innovative Technologien, Gig-Economy und ausgeklügelte Logistik. Aber was macht diesen Trend so erfolgreich? Welche Herausforderungen bringt er mit sich? Und wie könnte Instant Retail den globalen Handel verändern?

Nicht höher und weiter, aber deutlich schneller

Ein Blick hinter die Kulissen

Der Grundgedanke ist ebenso simpel wie wirkungsvoll: Lieferung in Echtzeit. KonsumentInnen bestellen über eine App, die Produkte werden aus einem nahegelegenen Lager abgeholt und in Windeseile geliefert. Die Zeiten, in denen man Tage oder Stunden auf seine Bestellung warten musste, sind in China vorbei – besonders in urbanen Zentren.

Technologische Basis: Smart Logistics

Ohne Technologie und den rasanten Fortschritt wäre der Instant Retail in China undenkbar. Zu den Schlüsselkomponenten für diese Form des Handels zählen:

  • Dark Stores: Diese kleinen, hochoptimierten Lagerhäuser sind strategisch über Städte verteilt. Mit einem Fokus auf den „Long Tail“ der Nachfrage enthalten sie die beliebtesten Produkte und minimieren die Lieferzeit.
  • KI-gestützte Nachfrageanalyse: Algorithmen analysieren Konsumtrends in Echtzeit, passen Bestände an und garantieren, dass die richtigen Produkte am richtigen Ort verfügbar sind.
  • Autonome Liefermethoden: Roboter und Drohnen sind keine Vision, sondern Realität. Besonders JD.com hat diese Technologien in ländlichen Gebieten im Einsatz.
CT #233 ChefTreff Spezial: Der K5X-Pedition China Deep Dive mit Ed Sander
Podcast
In dieser Spezialfolge unseres Cheftreff Podcasts nimmt Host Sven Rittau Dich mit auf eine faszinierende Reise durch die innovative E-Commerce-Landschaft Chinas. Gemeinsam mit dem China-Experten Ed Sander berichtet er von ihrer gemeinsamen K5 X-PEDITION nach Shanghai, Hangzhou und Peking und teilt wertvolle Einblicke in die dynamische Welt des chinesischen Onlinehandels. Ed und Sven diskutieren die Dominanz von Plattformen wie WeChat, Alipay und Meituan und erklären, wie diese Apps das tägliche Leben der chinesischen Verbraucher prägen. 
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Warum gerade China? Die Erfolgstreiber

Der Erfolg von Instant Retail in China ist kein Zufall. Hier spielen gleich mehrere Faktoren zusammen:

  1. Dichte Megacitys als Spielfeld
    Chinas Städte sind extrem dicht besiedelt, was die Lieferung in Minuten wirtschaftlich machbar macht. In Städten wie Shanghai oder Peking, wo Millionen Menschen auf engem Raum leben, sind die Wege zwischen Lager und EndkundInnen kurz.
  2. Digitale Vorreiterrolle
    China ist eine der technologisch fortschrittlichsten Nationen. Mobile Bezahlsysteme wie Alipay oder WeChat Pay haben die Art und Weise, wie KonsumentInnen einkaufen, revolutioniert. Bestellen, bezahlen und verfolgen – alles geschieht über ein einziges Smartphone.
  3. Logistische Meisterwerke
    Von autonomen Lieferfahrzeugen bis hin zu ausgefeilten Routenalgorithmen – Chinas Logistik ist weltweit führend. Hinzu kommt ein Heer an FahrerInnen, die durch Gig-Plattformen wie Meituan oder Dada flexibel eingesetzt werden können.
  4. Konsumfreude und Sofortkultur
    Die chinesische Generation Z und Millennials sind an eine Kultur des Sofortkonsums gewöhnt. Zeit ist kostbar, und Komfort ist entscheidend. Instant Retail passt perfekt in diesen Lebensstil.

Die großen Player und ihre Strategien

Alibaba und Hema (Freshippo)
Der Marktplatz- und Plattform- Gigant Alibaba hat mit seiner Supermarktkette Hema (im Englischen Freshippo) das Einkaufen beinahe neu erfunden. Der Hybridansatz ist simpel, aber genial: Die stationären Läden sind nicht nur Supermärkte, sondern gleichzeitig Logistikzentren für Online-Bestellungen. Die Frische? Garantiert. Die Lieferung? Blitzschnell, oft unter 30 Minuten – das ist fast schneller, als man „Wo habe ich die Einkaufszettel-App?“ sagen kann. Hema hat inzwischen über 300 Filialen in mehr als 20 chinesischen Städten, und wenn Alibaba so weitermacht, wird vielleicht bald jeder Supermarkt ein bisschen smarter sein müssen – oder das Handtuch werfen.

JD.com
JD.com hat offenbar das Motto: „Warum um den Berg herumfahren, wenn man darüberfliegen kann?“ und machte schnell Ernst. Der Gigant begann ab 2016 mit der Entwicklung von Drohnen, um Produkte auch in abgelegene Regionen zu liefern – Berge, Flüsse, wilde Natur? Kein Problem, die Drohne fliegt einfach darüber hinweg. Das Ergebnis: Produkte landen dort, wo Straßen teils noch ein Luxus sind und das oft innerhalb weniger Stunden. Gerade im Zuge der Corona-Pandemie hatte die Plattform mit Sitz in Peking damit Mitbewerbern einiges voraus. JD.com betreibt inzwischen eines der weltweit größten Drohnen-Netzwerke.

Meituan
Meituan startete als klassischer Essenslieferdienst – und hat sich heimlich, still und leise zur Allzweckplattform gemausert, die inzwischen fast alles liefert, was das urbane Herz begehrt: Lebensmittel, Elektronik, Drogerieartikel. Die Lieferzeiten liegen im besten Fall bei 15 Minuten. Mit einem Heer von über 4 Millionen KurierInnen – das sind mehr KurierInnen als Berlin EinwohnerInnen hat – und einem ausgeklügelten Algorithmus, der Routen optimiert, schafft Meituan jeden Tag das, wovon andere nur träumen: über 70 Millionen Bestellungen. Und wie Mitbewerber JD.com hat auch Meituan angefangen auf fliegende KurierInnen zu setzen und bedient bspw. die Metropole Shenzhen mit 30 Routen - und hungrige TouristInnen auf der chinesischen Mauer.

Instant Retail in Aktion: Die beliebtesten Produkte

Die Konsumgewohnheiten zeigen, welche Kategorien im Instant Retail besonders gefragt sind:

  • Lebensmittel: Frisch, schnell und zuverlässig: besonders während der Pandemie hat dieser Bereich im E-Commerce im Allgemeinen und im Instant Retail im Besonderen einen echten Boom erlebt - mit teils eher mittelprächtigen Ergebnissen. Einige Player auf dem deutschen Markt waren so schnell verschwunden, wie sie gekommen waren.
  • Elektronik: Spontane Bedürfnisse nach Zubehör für Consumer Electronics wie Kopfhörern, Gaming-Controllern oder Ladekabeln sind hier ein zuverlässiger Wachstumstreiber.
  • Apothekenprodukte: Von Schmerzmitteln bis zu Hygieneartikeln – diese Produktkategorie wird meist aus guten Gründen von jetzt auf gleich benötigt und Instant Retail Modelle verhindern, dass KundInnen teils deutlich indisponiert das Haus verlassen müssen.

Herausforderungen und Hürden

Nachhaltigkeit

So beeindruckend die Geschwindigkeit auch ist, die ökologischen Auswirkungen sind enorm und alles andere als zeitgemäß. Verpackungsmüll und der CO₂-Ausstoß durch häufige Lieferungen sind für die Umweltbilanz naturgemäß eher ungünstig. Gerade die letzte Meile, also der Weg zu KundInnen, hinterlässt in der Lieferkette oft den höchsten CO₂-Fußabdruck. Alibaba, Meituan und andere Unternehmen haben erste Schritte unternommen, um gegen diese Auswirkungen anzukommen. Dazu gehören der Einsatz von Elektrofahrzeugen, wiederverwendbare Verpackungen und Initiativen zur Müllreduktion. Alibaba testet beispielsweise biologisch abbaubare Verpackungen in seinen Hema-Märkten, während JD.com mit solarbetriebenen Logistikzentren experimentiert.

Arbeitsbedingungen

Die FahrerInnen, die das Rückgrat von Instant Retail bilden, arbeiten oft unter enormem Druck. Lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne und eine hohe Unfallrate sind an der Tagesordnung. Plattformen stehen zunehmend in der Kritik, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Den Quick Commerce Versuch Gorillas hat u.a. der Umgang mit seinen MitarbeiterInnen Kopf und Kragen gekostet. 

Kosten und Rentabilität

Das Geschäftsmodell von Instant Retail ist trotz seines Wachstums mit hohen Kosten verbunden. Viele Unternehmen subventionieren Lieferungen, um KundInnen zu binden, was die Margen belastet. Untersuchungen zeigen, dass etwa Meituan und JD.com in den letzten Jahren massiv in Logistik und Technologie investiert haben, um Lieferzeiten zu reduzieren. Hema, die Supermarktkette von Alibaba, erreichte erst 2022 nach sieben Jahren die Rentabilität. Die langfristige Profitabilität bleibt ungewiss. Während große Plattformen mit umfangreichen Ressourcen die Verluste noch ausgleichen können, haben Anbieter wie Gorillas und Getir gezeigt, wie schwierig es ist, in diesem Markt zu überleben.


Warum der europäische (digitale) Handel dringend ein Auge auf die chinesische Konkurrenz haben muss, hat auch Prof. Dr. Gerrit Heinemann auf der K5 2024 aufgezeigt - anschaulich, mit viel Nachdruck und wenig Verständnis für wiederholt insolvente Warenhausketten. Ein Blick lohnt sich!


Globaler Blick: Was kann der Rest der Welt lernen?

Das Konzept des Instant Retail in China wird natürlich längst weltweit beobachtet und getestet, aber die Rahmenbedingungen und die Nachfrage unterscheiden sich in westlichen Märkten wie Mitteleuropa und Nordamerika ganz deutlich.

USA: Technologieführer mit Herausforderungen

Unternehmen wie Amazon (Prime Now) und GoPuff setzen in den USA bereits auf ultrakurze Lieferzeiten. Doch die geringere urbane Dichte und die hohen Kosten erschweren eine flächendeckende Umsetzung. Das Modell funktioniert vor allem in dicht besiedelten Großstädten wie New York und Los Angeles.

Europa: Anpassung und Nachhaltigkeit

In Europa hatten Anbieter wie Gorillas und Getir Schwierigkeiten große, sich zu etablieren, unter anderem wegen hoher Löhne und strenger Arbeitsgesetze. Das Ergebnis: ein Player ging unter, der andere verließ den deutschen Markt. Trotzdem optimieren Unternehmen das Modell mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit, etwa durch Fahrradzustellungen oder Elektrofahrzeuge, um sich langfristig am Markt zu halten.

Chancen und Unterschiede

Während urbane Dichte und Konsumkultur ideale Bedingungen für den Instant Retail in China bieten, erfordert die Umsetzung in westlichen Märkten mehr Flexibilität. Nachhaltige Innovationen und die Anpassung an kulturelle Unterschiede könnten jedoch dazu beitragen, Instant Retail global skalierbar zu machen.

Dennoch könnte Instant Retail langfristig ein wichtiger Bestandteil des globalen Handels werden –  allerdings stark an die einzelnen Ländermärkte angepasst. One size fits all gibt es hier nicht. Technologischer Fortschritt, Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Effizienz sind entscheidend, um das Modell außerhalb Chinas langfristig erfolgreich zu machen.

Fazit: Lichtgeschwindigkeit für die Zukunft des Handels

Instant Retail in China ist mehr als nur ein Trend – es ist ein Paradigmenwechsel, eine neue Ära des Handels. Der chinesische Handel hat die dafür Blaupause entwickelt, wie Technologie, Logistik und KonsumentInnenverhalten in Einklang gebracht werden können, um ein radikal neues Einkaufserlebnis zu schaffen.

Doch mit großer Innovation kommen auch große Herausforderungen. Die Themen Nachhaltigkeit, Arbeitsbedingungen und wirtschaftliche Rentabilität müssen angegangen werden, wenn das Modell langfristig Bestand haben soll. Und für Unternehmen weltweit gilt: Wer nicht bereit ist, in Geschwindigkeit, Komfort und Technologie zu investieren, riskiert zurückzufallen. Für KonsumentInnen bedeutet Instant Retail eine beispiellose Bequemlichkeit. Für Unternehmen ist es eine Erinnerung daran, dass Geschwindigkeit und Technologie in der Welt von morgen entscheidend sein werden.

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