Temu, der neue Stern am Onlinehandelshimmel, macht Amazon mit niedrigen Preisen und einem innovativen Marketing-Mix fröhlich Konkurrenz. Die jüngste Entwicklung hat den Wettbewerb weiter angeheizt: Temu hat seinen Marktplatz für europäische HändlerInnen und Marken geöffnet und setzt verstärkt auf ein "Local-To-Local-Modell". Was bedeutet das für etablierte Marktplätze, kleinere Marken und den europäischen E-Commerce im Allgemeinen?
Seit seiner Einführung in Deutschland im Jahr 2023 hat Temu sich eine beeindruckende Nutzerbasis aufgebaut - Tendenz nach wie vor steigend. In der EU verzeichnet Temu mittlerweile rund 97 Mio. NutzerInnen und hat in den USA laut einem Bericht von Bernstein Research Amazon in Sachen Monthly Active Users sogar überholt.
ExpertInnen prognostizieren zudem weiteres Wachstum, das die Landschaft des Onlinehandels nachhaltig verändern könnte. Temu kombiniert dabei geschickt Online-Marketing mit KI-Modellen und Kundendaten, um potenziellen KäuferInnen ganz gezielt Produkte vorzuschlagen. Diese Strategie, zusammen mit attraktiven Rabattaktionen und einer beinahe absurd breiten Palette an Produkten zu unschlagbaren Preisen, hat sich als äußerst wirkungsvoll erwiesen.
Ein wesentlicher Faktor für Temus Erfolg sind also die niedrigen Preise. Durch Direktverkäufe von HerstellerInnen, oft aus dem asiatischen Raum, und das Umgehen von Zollgebühren kann Temu Produkte deutlich günstiger anbieten als die Konkurrenz. KritikerInnen weisen jedoch auf die problematische Praxis bspw. der falschen Deklaration von Waren hin, die zu unfairem Wettbewerb führt.
Neben den Preisen spielt allerdings auch das Einkaufserlebnis eine Rolle. Temu nutzt Gamification wie Glücksspiele und Videos, um seine (potenziellen) KundInnen länger auf der Plattform zu halten - und erhöht so nicht nur die Kaufwahrscheinlichkeit, sondern stärkt auch die Kundenbindung.
In einem bedeutenden strategischen Schritt hat Temu im Juli 2024 seinen Marktplatz für HändlerInnen aus ausgewählten europäischen Ländern geöffnet. Verkäufer aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien und den Niederlanden können sich seither auf der Plattform registrieren, was die Internationalisierung des Unternehmens entscheidend vorantreibt.
Passend dazu hat Temu kürzlich das sogenannte "Local-To-Local-Modell" eingeführt, das einen radikalen Wandel in den Lieferzeiten mit sich bringt. Während zuvor Lieferungen aus China eine bis zwei Wochen in Anspruch nahmen, ermöglicht das neue Modell nun Zustellungen innerhalb weniger Tage. Dazu setzt Temu auf ein dezentrales Netzwerk an europäischen HändlerInnen, die ihre Produkte lokal lagern und versenden. Dieser Ansatz soll nicht nur die Kundenzufriedenheit durch kürzere Lieferzeiten steigern, sondern auch die Umweltbelastung durch reduzierte Transportwege verringern.
Um möglichst viele europäische VerkäuferInnen für sich zu gewinnen, bietet Temu zum Start äußerst vorteilhafte Konditionen. Dazu zählen:
Ziel dieser Angebote: eine möglichst breite Basis an lokalen AnbieterInnen aufzubauen und gleichzeitig die Vielfalt der Produktauswahl deutlich zu erhöhen.
Trotz der attraktiven Bedingungen gibt es einige Herausforderungen, die gerade europäische HändlerInnen berücksichtigen müssen:
Die Öffnung von Temu für europäische AnbieterInnen und die Einführung des Local-To-Local-Modells könnten signifikante Auswirkungen auf den E-Commerce-Markt haben:
Die Expansion von Temu in Europa stellt eine ernsthafte Herausforderung für etablierte Marktplätze wie Amazon, OTTO und eBay dar. Mit einer Kombination aus günstigeren Preisen, einem wachsenden lokalen Angebot und verkürzten Lieferzeiten könnte Temu seine Marktposition festigen. Besonders in Großbritannien zeigt sich dieser Effekt bereits deutlich: Hier wird die Temu-App mittlerweile häufiger genutzt als die von Amazon oder eBay.
Für kleinere AnbieterInnen und Marken ohne eigene internationale Reichweite bietet Temu eine ideale Plattform, um neue Märkte zu erschließen. Die Plattform übernimmt wichtige Aufgaben wie das länderübergreifende Marketing und den Kundenservice, was den Einstieg in den internationalen Handel erheblich erleichtert. Diese Unterstützung kann kleineren Unternehmen helfen, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen und ihre Umsätze deutlich zu steigern.
Große und renommierte Marken stehen vor der Frage, ob sie sich auf einer Plattform präsentieren wollen, die primär für günstige Produkte bis hin zu Ramschpreisen bekannt ist. Diese Entscheidung wird durch die Wahrnehmung von Temu als "Billiganbieter" erschwert. Dennoch sehen BranchenexpertInnen Parallelen zur anfänglichen Skepsis gegenüber Amazon: Auch dort waren viele bekannte Marken zunächst zurückhaltend, bevor sie die Plattform schließlich als unverzichtbaren Vertriebskanal akzeptierten. Es ist daher wahrscheinlich, dass auch Temu mittelfristig bekannte Marken für sich gewinnen wird.
Auf der K5 2024 hat China Tech Experte Ed Sander seine ehrlichen Insights zur Wachstumsrakete Temu geteilt - und klar gemacht, weshalb der europäische Handel den jungen Plattform-Riesen keinesfalls unterschätzen darf. Das ganze Video findest Du in der K5 Mediathek.
Obwohl Temu mit seinem schnellen Wachstum und seiner zügigen Etablierung in der Branche beeindruckt, gibt es auch zahlreiche kritische Stimmen bis hin zu ernsthaften Konsequenzen:
Trotz dieser Herausforderungen wird Temu inzwischen als ernstzunehmender Akteur oder sogar als Vorreiter im europäischen E-Commerce wahrgenommen, dessen Entwicklung die Branche genau beobachtet.
Die entscheidende Frage bleibt, ob Temu langfristig in der Lage sein wird, etablierten E-Commerce-Giganten wie Amazon die Stirn zu bieten oder gar den Rang abzulaufen. Während das Unternehmen mit seiner aggressiven Wachstumsstrategie und innovativen Modellen wie dem Local-To-Local-Ansatz eine Grundlage schafft, wird von ExpertInnen auch auf die Herausforderungen hingewiesen, die mit einer solchen Expansion verbunden sind.
Einige BranchenanalystInnen sehen in Temu einen potenziellen "Amazon-Killer". Die Plattform hat in kurzer Zeit gezeigt, dass sie durch attraktive Preise, kürzere Lieferzeiten und ein vielfältiges Produktangebot Millionen von KundInnen gewinnen kann. Doch damit Temu dieses Potenzial voll ausschöpfen kann, sind bestimmte Voraussetzungen notwendig – darunter die Fähigkeit, sich an regionale Märkte anzupassen, logistische Hürden zu meistern und regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden.
Die wachsende Dominanz von Temu wirft Fragen zu fairen Wettbewerbsbedingungen auf. ExpertInnen fordern strengere Regulierungen, um sicherzustellen, dass neue Marktteilnehmer wie Temu nicht durch unfaire Vorteile wie Steuervergünstigungen oder geringe Sozialstandards gegenüber etablierten Plattformen bevorzugt werden. Auch fehlende Kontrollen in Sachen Produktqualität und der ungehinderte Einsatz von Schadstoffen stehen massiv in der Kritk.
Die Öffnung von Temu für europäische HändlerInnen und die Einführung des Local-To-Local-Modells markieren einen bedeutenden Wendepunkt für die Position der Plattform im europäischen E-Commerce und für alle MitbewerberInnen. Temus innovative Ansätze haben das Potenzial, die Spielregeln zu verändern, indem sie den Wettbewerb verschärfen, die Preise senken und neue Chancen für Marken und HändlerInnen schaffen. Dennoch bleiben wichtige Fragen offen: Wie nachhaltig ist Temus Modell in Bezug auf Umwelt und Arbeitsbedingungen, werden etablierte Plattformen erfolgreich Strategien entwickeln, um Temu zurückzudrängen und wie werden Regulierungen den Wettbewerb und die Dynamik des Marktes beeinflussen? Ob Temu tatsächlich das Zeug zum "Amazon-Killer" hat oder doch mehr einer Teenager-Phase ähnelt (erinnert sich hier noch jemand an Clubhouse?), wird sich erst in den kommenden Jahren sicher zeigen. Klar ist jedoch, dass Temu für einiges an Furore sorgt und so manchem etablierten Marktplatz einen überfälligen Weckruf beschert haben dürfte.