Ein Gastbeitrag von Marcel Brindöpke, Co-Founder von heyconnect
Marktplätze im E-Commerce – ein Thema, das mich seit knapp 20 Jahren begleitet und mitunter verfolgt.
Wären Marktplätze eine Stadt, wären sie vermutlich Berlin. Groß, unübersichtlich, nichts funktioniert bereits richtig, aber das ist auch gut so und jeden zieht es dorthin. Warum eigentlich? (Marktplätze, nicht Berlin). Ein Grund ist die normative Kraft des Faktischen: Es ist qua kapitalistischem Amt das wirksamste Geschäftsmodell aus Kundensicht (Netzwerk-Effekte, Kosteneffekte…) und damit ein Go-Go-Area für Marken und teilweise auch Händler.
Das schaukelt sich so lange hoch, bis beide Seiten es übertreiben. Dann findet man vor lauter Waren und bezahlten Produktanzeigen gar nichts mehr, die Anbieter unterbieten sich bei den Rabatten und den Ausgaben für Retail Media. Bis man zwar viel verkauft, aber auch viel Geld verliert.
Ein hochdekorierter Manager von Online-Aktivitäten großer Marken sagte mir jüngst, dass Marken das Marktplatzbusiness eigentlich gar nicht mögen, auch wenn sie dort wären, weil sie es müssten. Was Marktplätze quasi zu den Zahnärzten des Online-Handels macht.
Nun, zum einen sind Marktplatz-Modelle weiterhin das einzig stark wachsende Geschäftsmodell im Onlinehandel. Gleichzeitig werden Marktplatz-verwandte Modelle wie Social Commerce immer beliebter, da sie deutlich enger an der Zielgruppe sind und die Bestseller-Logik der guten alten Zeit wiederbeleben.
Andererseits sind einige Marktplätze vom Markt verschwunden, in der Regel durch eine normale Bereinigung der Handelslandschaft oder weil sein Mutterschiff es doch nicht von der alten Handelswelt in die Moderne geschafft hat.
Es dominieren zwar weiterhin die großen Fashion-Player (und Amazon), aber zunehmend erreichen anderen Branchen wie Living, Sport oder DIY Kipp-Punkte zur Relevanz.
AboutYou und auch Zalando entwickeln sich immer weiter in Richtung Ökosystem, analog des großen Vorbildes Amazon. Handel war zuerst, doch dann kamen Services, wie Logistik, Retail Media oder IT-Systeme. Hier entstehen künftig die nachhaltigeren Money-Streams, in dem auch der klassische E-Commerce mit Services versorgt wird.
Was zudem die Jüngeren nicht mehr wissen: OTTO war de facto auch so ein Ökosystem, jedoch vor allem als Zahlungs-Dienstleister. Wichtige Teile der Erlösströme stammen aus Finanzierungs-Offerten für großvolumige Möbelstücke oder Flachbildfernseher.
Eines der spannendsten Transformations-Aufführungen ist um eine neue Facette reicher. Transformation? Ja, denn OTTO hat mit der Wandlung vom kuratierten Katalogversender zum offenen Marktplatz einen so großen Sprung gemacht, dass sie als Riesenkänguru durchgehen würden. Der Preis ist jedoch die Zerrissenheit zwischen Handelsmodell und Plattform-Modell. Dass OTTO den Abgang des zuständigen Vorstandes recht offen mit einer unterschiedlichen Idee zur Ausrichtung des Geschäftsmodells kommentiert hat, lässt darauf schließen, dass es weiterhin knarzt.
Knarzen tun auch die meisten Produkte, die via Temu und Shein auf den Markt kommen, vor allem die Pizzadecken. Diese Anbieter attackieren etablierte Modelle auf dem deutschen Markt ebenso wie die Umwelt und europäische Zöllner. Dennoch sind sie da und es wird sich zeigen, in welchen Segmenten sie gekommen sind, um zu bleiben. Wie man Trends erkennt und darauf reagiert ist allerdings eine spannende Geschäftsmodell-Innovation, mit der auch arrivierte Marken ihre Überhänge und langen Frachtrouten entrümpeln könnten.
Das einst als Wunderkind des E-Commerce gefeierte Marktplatz-Modell ist in seiner ersten Iteration an einem Wendepunkt angekommen. Too big to fail, aber es bedarf Anpassungen, damit es auch mal für alle Beteiligten funktioniert und nicht nur für DHL, die sinnlos bestellte Artikel durch die Republik karren dürfen und auf dem Rückweg die Retouren miteinsammeln.
Hoffnung macht hier die Erkenntnis einiger Plattformen (Zalando reduziert bereits das Angebot, auch AboutYou ist restriktiver), dass Größe wichtig ist, aber eben nicht nur in eine Richtung. Und vor allem die künstliche Intelligenz. Vor allem deshalb, weil es mit der menschlichen Intelligenz dann doch nicht mehr geht. Dafür ist es zu komplex, zu international und multi-faktoriell.
Wenn es gelingt, Waren schlauer zu produzieren, zu allokieren und zu bepreisen, wenn es gelingt klassische Modelle (Wholesale, eigener E-Commerce) mit dem Marktplatz-Business schlau zu verzahnen, wenn es aber auch gelingt, sinnlose Vielbesteller (Der Autor guckt ebenfalls oft genug beschämt nach unten) zu zähmen, dann entstehen wieder gesunde Ökosysteme. Hier muss sich auch der Kunde hinterfragen. Wer ein guter König sein will, muss auch verantwortungsvoll handeln, sonst bleibt er Despot.
Auf Markenseite kann KI die Prozesse günstiger und besser machen, was die Rentabilität ebenfalls treibt. Und vielleicht setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass nicht jedes Handelsmodell ein Marktplatz sein muss und auch Marken nicht auf 20 Marktplätzen parallel die letzte Marge auf dem Altar der Sichtbarkeit und Internationalisierung opfern müssen.
Es ist also wieder Aufbruchszeit, für eine nächste Iteration der Marktplatz-Modelle. Alles bleibt anders und alles wird besser, als es bisher war. So war es im E-Commerce immer.
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