Skandinavien gilt schon lange als einer der digitalisiertesten und kaufkräftigsten E-Commerce-Märkte Europas und inzwischen auch weltweit. Mit einer technologieaffinen Bevölkerung, hoher Internetdurchdringung und starkem Vertrauen in digitale Bezahlmethoden bietet die Region vielversprechende und zahlreiche Chancen für internationale OnlinehändlerInnen. Unternehmen, die eine Expansion in den E-Commerce in Skandinavien erwägen, profitieren von einer stabilen Wirtschaft und einer ausgeprägten Konsumbereitschaft. Allerdings birgt der Eintritt auch Herausforderungen - von kulturellen Unterschiede, sprachlichen Hürden (die 15 Fälle sind kein Klischee), gesetzliche Regulierungen und eine gut gesättigte und kompetitive digitale Handelsbranche.
Der E-Commerce in Skandinavien: Ein Überblick
Zahlen, Trends und Dynamik
Die skandinavischen Länder (Schweden, Norwegen, Dänemark und (im weiteren Sinne) Finnland) zeichnen sich durch ein kontinuierliches Wachstum des Onlinehandels aus. Laut Prognosen soll der E-Commerce-Umsatz in Skandinavien 2025 auf fast 42 Milliarden USD steigen. 2023 lag dieser in Norwegen bei 8,6 Milliarden USD, in Dänemark bei 8,4 Milliarden USD, in Finnland bei 6,7 Milliarden USD und bei 13,6 Milliarden USD in Schweden.
Die Region profitiert von mehreren Faktoren, die das Wachstum des digitalen Handels entscheidend begünstigen:
- Hohe Internet- und Smartphone-Durchdringung: In allen skandinavischen Ländern liegt die Internetpenetration bei über 94 %, wobei mobile Endgeräte eine tragende Rolle spielen.
- Stark ausgeprägte Online-Kaufgewohnheiten: Skandinavische KonsumentInnen sind an Online-Käufe gewöhnt, insbesondere in den Bereichen Mode, Elektronik, Lifestyle-Produkte und Dienstleistungen. Unter den Befragten einer PostNord Studie von 2024 hatten mindestens 82% in den letzten 30 Tagen online eingekauft - unter den schwedischen TeilnehmerInnen waren es sogar 88%.
- Exzellente Logistik und digitale Bezahlmethoden: Dank hervorragender Infrastrukturen und einer hohen Akzeptanz für digitale Zahlungssysteme (z. B. Klarna, MobilePay, Swish, Vipps) wird der Kaufprozess vereinfacht und beschleunigt.
Die heimlichen Stars: Skandinaviens Top-E-Commerce-Player
Um den Markt besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die führenden Marktplätze und Einzelhändler in der Region, vorwiegend solche, die außerhalb Skandinaviens noch nicht flächendeckend bekannt sind.
Schweden
- CDON: Als einer der größten schwedischen Online-Marktplätze bietet CDON eine breite Palette an Produkten – von Elektronik über Mode bis hin zu Haushaltswaren. Das Unternehmen hat sich als eine Art skandinavische Alternative zu Amazon positioniert, ist sowohl in B2C als auch B2B tätig und investiert stark in Marktplatztechnologien sowie Logistiklösungen.
- Apotea: Der führende Online-Apothekenhändler Schwedens, der mit seinem innovativen Lager- und Versandkonzept eine extrem schnelle Lieferung ermöglicht. Apotea verzeichnete 2023 einen Umsatz von über 5 Milliarden SEK (ca. 350 Millionen Euro) und ist für seine umweltfreundlichen Versandlösungen bekannt.
- Bangerhead: Ein wachsender Online-Händler für Beauty- und Pflegeprodukte, der sich durch eine Kombination aus bekannten Premium- und Luxus-Marken sowie Nischenprodukten auszeichnet. Das Unternehmen wurde 2008 gegründet und begann als Shop für Haarpflegeprodukte (der Name war Programm).
- Bygghemma: Teil der BHG Group und damit einer der Marktführer im Onlinehandel mit Heimwerker- und Gartenprodukten in Schweden. Bygghemma profitiert vom DIY-Trend und einer seit 2020 stark gewachsenen Nachfrage nach Renovierungsprodukten.
- Ellos: Ein bereits 1947 gegründetes Unternehmen und etablierter Online-Modehändler mit Fokus auf skandinavische Styles und Inneneinrichtung. Ellos kombiniert Mode und Wohndesign in einer Shopping-Plattform und machte im ersten Halbjahr 2024 einen Umsatz von rund 1,6 Milliarden SEK (ca. 141 Mio. Euro).
Norwegen
- Komplett: Der größte norwegische Online-Händler für Elektronik und IT-Produkte mit einem Jahresumsatz von rund 320 Mio. Euro (Stand 2023). Komplett setzt auf ein ausgeklügeltes Logistiknetzwerk und attraktive, teils sehr flexible Zahlungsoptionen für KundInnen.
- Kolonial.no (Oda): Der führende norwegische Online-Supermarkt, der sich mit hocheffizienten Lager- und Lieferprozessen als schneller Lebensmittel-Lieferdienst mit Discount-Preisen präsentiert. Oda machte 2024 in Norwegen einen Umsatz von 329 Mio. NOK und versucht sich immer wieder an der Expansion in andere Märkte, ist in Deutschland aber krachend gescheitert.
- Elkjøp: Hat die Pole Position unter den norwegischen Einzelhändlern im Bereich Elektronik inne und hat sich durch ein weitreichendes Filialnetz sowie starke Online-Präsenz und regelmäßige Rabattaktionen sicher positioniert. Muttergesellschaft ist der schwedische Riese Elgiganten.
- Jollyroom: Zählt zu den stärksten nordeuropäischen Onlineshops für Baby- und Kinderprodukte mit starkem Wachstum in Skandinavien. Das 2010 gegründete Unternehmen punktet mit einem umfangreichen Sortiment und schneller Lieferung.
- BliVakker: Eine der erfolgreichsten norwegischen Plattformen für Kosmetik- und Pflegeprodukte, die mit exklusiven Deals und großen Rabattaktionen aufwartet. 2023 verzeichnete der Onlineshop einen Umsatz von 70,4 Mio. USD.
CT #226 Mastering Market Adaptation: Hinter den Kulissen von Lyko - mit Rickard Lyko, CEO
Alles begann 1951 mit einem Friseursalon in der beschaulichen schwedischen Provinz Dalarna. Fast 75 Jahre und drei Generationen später ist LYKO ein digitaler Beauty-Player in acht Ländermärkten, der jährlich rund 300 Mio. Euro Umsatz erzielt. Wie es zu dieser Entwicklung kam, wie das Wachstum und die Expansion gelungen sind und wie das Unternehmen sich agil hält, berichtet CEO Rickard Lyko im ChefTreff Podcast mit Sven Rittau.
Zur Podcastfolge
Dänemark
- Nemlig.com: Dänemarks führender Online-Supermarkt, der ein breites Sortiment, eine UX-optimierte Bestellplattform und eine nachhaltige Lieferketten mitbringt. Das Unternehmen hat fast 50% der Marktanteile im dänischen Online-Lebensmittelhandel inne.
- Unisport: Ein wachsender Spezialist für Sport- und Fußballbekleidung, der durch Partnerschaften mit großen Marken und digitale Content-Strategien stark expandiert. Fährt mit Stores in München, Kopenhagen, Paris, Stockholm und Oslo eine Multichannel-Strategie
- DBA.dk (Den Blå Avis): DBA.dk ist Dänemarks relevanteste Plattform für C2C-Handel und Second-Hand-Produkte. Sie hat eine lange Tradition und eine breite Nutzerbasis, die sie zu einem der unter VerbraucherInnen beliebstesten Marktplätze für den Recommerce macht.
- Coolshop: 2002 von zwei Brüdern in einer Garage (eine Krone ins Klischee-Schwein) gegründet. Ist heute ein Marktplatz für beinahe alles von Elektronik und Spielzeug bis hin zu Tierfutter. Gilt als gutes Beispiel in Sachen Preis-Leistungs-Verhältnis und liefert sehr zügig.
- Magasin.dk: Der Online-Ableger der dänischen Kaufhauskette Magasin du Nord, die seit 2021 eine Tochter von Peek & Cloppenburg ist. Das Sortiment aus Mode-, Beauty- und Lifestyle-Produkten rangiert im oberen Premium-Segment.
Finnland
- Tori.fi: Eine führende finnische Plattform für Kleinanzeigen und Gebrauchtwaren und eine der meistbesuchten Websites Finnlands. Tori.fi setzt auf ein klassisches C2C-Modell und ist eine der größten Second-Hand-Plattformen in Skandinavien. Die Seite hat sich besonders im Handel mit Möbeln, Elektronik und Fahrzeugen einen Namen gemacht
- Motonet: Ein spezialisierter Händler für Autozubehör, Werkzeuge und Outdoor-Produkte, der besonders bei Heimwerkern und Outdoor-EnthusiastInnen beliebt ist. Das Unternehmen betreibt sowohl Filialen als auch den Onlineshop, setzt auf ein Multichannel-Modell und machte 2023 etwa 92 Mio. USD Umsatz.
- Verkkokauppa: Die finnische Nummer Eins für Elektronik und Konsumgüter, mit einem Jahresumsatz von etwa 600 Millionen Euro (Stand 2022). Das Unternehmen ist bekannt für seine umfangreiche Auswahl an Produkten und seine vier Megastores in oder nahe finnischen Städten. Das Unternehmen wurde 1992 gegründet und ist an der Börse Helsinki notiert.
- Power.fi: ein wachsender Elektronikhändler in Finnland, Teil der norwegischen Power-Gruppe. Das noch recht junge Unternehmen (2016 gegründet) fährt eine Omnichannel-Strategie (etwa 200 Filialen in Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark) und verzeichnete allein in Finnland 2023 einen Umsatz von über 30 Mio. USD
- Kärkkäinen: Eine der größten Discount-Ketten Finnlands, mit breitem Produktsortiment (von Mode über Lebensmittel bis hin zu Heimwerkerbedarf), bescheidenerweise nach dem als streitbar geltenden Gründer selbst (Juha Kärkkäinen) benannt. Setzt neben der kanalübergreifenden Strategie (Verfügbarkeit im Laden war gestern, hier wird gleich in bester IKEA-Manier das exakte Regal angegeben) auch auf große Rabattaktionen wie die Sikapäivät (dts. Schweintage).
Take a chance
Cross-Border-E-Commerce
Skandinavische KonsumentInnen kaufen zunehmend bei internationalen Onlineshops ein. Unternehmen, die eine Expansion in Erwägung ziehen, können mit einer gut durchdachten Logistik und lokalen Zahlungsmethoden erfolgreich sein. Deutschland, Großbritannien und China sind bei den VerbraucherInnen besonders beliebt.
Hohe Kaufkraft und hohe Ansprüche
Die skandinavischen Länder zählen zu den wohlhabendsten Regionen Europas. VerbraucherInnen geben überdurchschnittlich viel Geld für Qualität und nachhaltige Produkte aus, insbesondere in den Bereichen Mode, Beauty, Elektronik und Lebensmittel.
Tech-Savy
Skandinavien gehört zu den führenden Regionen in Sachen Digitalisierung. KundInnen sind offen für neue Shopping-Technologien wie Augmented Reality (AR), Künstliche Intelligenz (KI) zur Produktempfehlung und innovative Bezahlmethoden (Skandinavien ist ein europäischer FinTech Hotspot). Unternehmen, die moderne Einkaufserlebnisse bieten, können hier besonders punkten.
Go green and go big
Nachhaltigkeit ist in Skandinavien kein Trend, sondern eine Grundvoraussetzung. Marken und Unternehmen, die Wert auf umweltfreundliche Verpackungen, CO₂-neutrale Lieferungen und nachhaltige Produktionsketten legen, haben in diesem Markt einen klaren Wettbewerbsvorteil (und ohne den Fokus auf dieser Wert auch oft keine Chance).
Das offene Buch
Skandinavien ist für seine stabile Wirtschaftslage und transparente Gesetze bekannt, was langfristige Planungssicherheit für Unternehmen schafft, die den Markteintritt in die nordischen Länder erwägen und verhindert oder begrenzt böse Überraschungen.
Video-Tipp
Es hat eine Weile gedauert, aber passend zur neuen Digital-Strategie hat IKEA auf der K5 2024 auch endlich den Weg auf unsere Bühne gefunden. Jeremy Drury, Chief Digital Officer von IKEA Deutschland, nimmt Dich mit auf eine Reise in die Zukunft des Möbelriesen - AI und AR inklusive!
Vorsicht, Hürde!
Gut gesättigt und hart umkämpft
Der skandinavische Markt ist stark umkämpft. Lokale und internationale Player wie Zalando Nordics, Boozt oder Elkjøp haben sich fest etabliert. Neue Marken und Unternehmen müssen sich durch exzellente Kundenservices, ein starkes Markenimage oder Nischenstrategien differenzieren.
Localize it!
Obwohl Englisch weit verbreitet ist (bspw. sprechen 89% der SchwedInnen Englisch), haben viele VerbraucherInnen eine Affinität zu Onlineshops in ihrer Landessprache. Unternehmen müssen in qualitativ hochwertige Übersetzungen, lokalisierte Marketingstrategien und Kundenservice investieren. Gerade in den nordischen Ländern gestaltet sich das mitunter nicht unkompliziert (unnützes Wissen frei Haus: das Norwegische hat zwei Standardvarietäten).
Streng und strenger
Skandinavien hat strenge Verbraucherschutzgesetze, insbesondere im Bereich Datenschutz (Stichwort DSGVO, die auch in Norwegen als EWR Staat gilt) und Rückgaberechte. Darüber hinaus existieren nationale Regelungen, die teils über die EU-Vorgaben hinausgehen, etwa strengere Vorschriften für irreführende Werbung in Schweden. Händler und Marken müssen sich sorgfältig mit lokalen Bestimmungen vertraut machen und ihre Geschäftsmodelle entsprechend anpassen.
Viel Land, wenig Menschen
Die bekanntermaßen oft weitläufigen und dünn besiedelten Regionen, vor allem in Norwegen, Schweden und Finnland, sind eine Hürde für die schnelle und kosteneffiziente Lieferung. Erfolgreich positionierte Unternehmen setzen auf gut organisierte Distributionszentren und enge Kooperationen mit lokalen Logistikdienstleistern, um eine effiziente Zustellung zu gewährleisten. Eine Studie von PostNord ergab, dass über 60% der Befragten dennoch mit drei bis fünf Tagen Lieferzeit konfrontiert waren. Dezentrale Lagerhaltung kann ebenfalls dazu beitragen, Lieferzeiten zu verkürzen und Versandkosten zu reduzieren.
Fazit
Der E-Commerce in Skandinavien ist ein vielversprechender, aber anspruchsvoller Wachstumsmarkt, der Unternehmen mit sehr hohen Erwartungen konfrontiert. Die Kombination aus hoher Kaufkraft, technologischem Fortschritt und nachhaltigkeitsbewusstem Konsum schafft interessante und attraktive Chancen für Marken, die sich strategisch klug positionieren können. Doch der Weg zum Erfolg erfordert mehr als nur ein gutes Produkt – strenge Regulierungen und eine wettbewerbsintensive Landschaft verlangen eine präzise Markteintrittsstrategie und viel Geduld.