Ein Gastbeitrag von Dörte Kaschdailis, Mitgründerin und Managing Director von opexxia
Neulich kam meine Schwiegermutter mit einer Skijacke um die Ecke. Design und Optik klar irgendwo zwischen 1982 und 1985. Wäre sicher ein Renner auf den Vintage-Plattformen, aber in Sachen Funktionalität natürlich nicht mehr zu gebrauchen. Da stinkste nach zwei Abfahrten wie ein Iltis drin und das Ding saugt sich bei Schnee voll wie ein durstiger Mallorca-Urlauber. Klischee muss sein.
Die technischen Entwicklungen der vergangenen Dekaden in der Sportbekleidungsbranche sind rasant. Jede Saison neue, noch bessere, noch funktionalere, noch sportlichere Kollektionen. Membranen, Wassersäulen, Atmungsaktivität, Design etc. – mit dem getätigten Neukauf ist man schon wieder hinter den aktuellen Trends. Ähnlich wie beim Kauf eines neuen Smartphones.
Laut Statista wurden im Jahr 2021 in Deutschland 4,7 Mrd. EUR für Sportbekleidung ausgegeben – nur für Bekleidung! Das sind bei 80 Mio. Menschen im Schnitt 58,75 EUR pro Einwohner (hab ich im Excel nachgerechnet). Lesende möchten gern selbst rekapitulieren, was sie im letzten Jahr so an Sportbekleidung gekauft haben. Bei den Zahlen sind wir in jedem Fall eine sportliche Nation, würde ich sagen…
Die Sportindustrie ist prädestiniert für das Thema ökologische Nachhaltigkeit. Finden doch sehr viele Sportarten draußen statt oder sind von der Natur abhängig (Niederschlag, Wind, Sonne, Wasser, Temperatur, Berge, Meere, Wälder… usw.). So ist es auch kein Wunder, dass diese Industrie das Trendthema ökologische Nachhaltigkeit in den letzten Jahren vermehrt bespielt. Meines Erachtens folgt das in vielen Fällen nicht unbedingt aus tiefer Überzeugung, sondern vielmehr aus dem vermeintlichen Druck aus der Kundschaft oder eben auch gesetzlichen Vorgaben.
Wenn wir ehrlich sind, ist die Sportbekleidungsindustrie ein Teil der Fashionindustrie. Es hat sich etabliert, dass Menschen mit bunten Jacken und trendigen Laufschuhen zum Einkaufen gehen oder durch die Innenstadt schlendern. Als Ausdruck von Status (oder Statement) und sportlichem Lifestyle werden teure Merino-Westen, figurbetonte Super-Leggings oder Sportmarken-Shirts gern auch außerhalb der eigentlichen Nutzenbestimmung getragen. Die Sportbekleidungsindustrie kann sich da nicht rausnehmen und trägt mit dem stetigen Absatzwachstum einen erheblichen Anteil am Ressourcenverbrauch.
Im März 2022 stellte die EU-Kommission dazu ihre Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien vor. Bis 2030 wird dem Überangebot und der Schnelldrehung im Bekleidungssektor massiv der Kampf angesagt. Fokus liegt auf der Langlebigkeit und kreislauffähiger Gestaltung von Bekleidung. Das Magazin „Fashion Changers“ fasst die neue Leitlinie zusammen:
[Quelle: https://fashionchangers.de/eu-green-deal-was-sieht-die-eu-textilstrategie-vor]
Vieles wird in der Sportbekleidungsindustrie schon beherzt angegangen. Bekannte Markenhersteller setzen auf recycelte Materialien, Öko-Standards und ressourcenschonendere Produktionsverfahren. Doch das alles reicht nicht aus. Es braucht viel mehr Anstrengungen und eben auch radikalere Vorgehen. Selbst wenn jedes Produkt irgendwann 1:1 wiederverwertet werden kann, so müssen massive Anstrengungen entlang der ganzen Wertschöpfungskette ebenso Priorität erfahren. Nicht zuletzt muss der „jede Saison neu“ -Wahnsinn hinterfragt werden.
Bewusster Verzicht auf irre Marketingkampagnen zu imaginär erfundenen Hyper-Sales-Tagen, bewusster Fokus auf Sportarten (statt Abdriften in Vollsortimentsspähren) oder Ausbau von Reparatur- und Rücknahmeservices sind da erste Anfänge.
Manchmal stelle ich mir rabiate Maßnahmen vor – wie wäre es, wenn Sporthändler*innen, die ihre Kundschaft meist sehr gut kennen, beim Kauf / Check-out erfragen, warum jetzt gerade dieses Produkt gekauft wird? Laut CRM wurde doch gerade erst vor 6 Monaten ein gleichwertiges Produkt gekauft, warum dann also nun nochmal? Man stelle sich die verdutzte Kundschaft vor. In dem Zusammenhang könnte dann auf Rücknahme/Kreislaufwirtschaftsangebote aufmerksam gemacht werden, damit die Altware auch tatsächlich wieder in den Kreislauf hineinkommt. Zugegeben wird sich das kein Retailer / Markenhersteller trauen, einfach aus Angst der einbrechenden Conversionrate. An der Stelle könnte ich die Systemfrage stellen, warum eigentlich jedes Jahr xyz% Wachstum abgeliefert werden müssen. Warum kann nicht einfach ein solides Business mit ertragsbringender Geschäftstätigkeit auch genug sein? Aber da drifte ich dann ab.
In meinen Augen muss die Sportbekleidungsindustrie die Vorreiterrolle bei allen Themen der ökologischen Nachhaltigkeit in Sachen Fashion einnehmen. Sie ist gerade dazu berufen, denn die Natur schenkt uns die schönsten sportlichen Erlebnisse und wir müssen es ihr danken. Wir als Verbraucher*innen überdenken am besten den nächsten Neukauf, nur um mit der Sportkleidung up-to-date zu sein.
Die Garnitur vom letzten Jahr tut es auch noch ein paar Jahre und das Erleben in der Natur ist doch viel wichtiger. Diese herrliche Erschöpfung nach einem ausgiebigen Skitag. Dieses wunderbare Gefühl seinen Körper beim Fitness richtig ausgepowert zu haben oder die mentale Befreiung nach einer anstrengenden Yoga-Session – bringe ich hier als gedankliche Beispiele, denn das ist es, worum es beim Sport geht.